Von Chantal Bohn
Graue Wände, graue Teppiche, graue Anzüge – das Klischee der Großraumbüros ist mehr als trist. Überall lauern Stressquellen. Da ist das ständige Piepen des Druckers oder das Gespräch der Tischnachbarin, eine wichtige Deadline und die Email eines verärgerten Kunden. Das Homeoffice ist zwar weniger grau, aber nicht unbedingt weniger stressig. Das Rauschen der Waschmaschine oder das Zoom-Meeting des Partners im Nebenraum erschweren die Konzentration. Natürliche Elemente in unserer Umgebung können diesen Stress senken.
Natur gegen Stress
Jeder von uns entspannt sich auf andere Weise. Eine schwedische Forschungsgruppe um Terry Hartwig fand jedoch heraus, dass für die meisten Menschen die Natur das beste Mittel gegen Stress und Anstrengung ist. Nachdem Probanden Konzentrationsaufgaben lösen mussten, gingen sie entweder im Reservat spazieren, liefen durch die Stadt oder blieben vor Ort und hörten Musik. Im anschließenden Test erzielte die Reservat-Gruppe wesentlich bessere Ergebnisse als die anderen beiden Gruppen. Bemerkenswert ist, dass ähnliche Ergebnisse auch mit Naturfotografien erreicht wurden. Es muss also nicht immer gleich ein Spaziergang sein. Oft reichen schon visuelle Eindrücke, um uns zu beruhigen, obwohl andere Vorteile verbunden mit Bewegung und frischer Luft wegbleiben.
Eine weitere Studie wurde in den Robert Taylor Homes in Chicago durchgeführt. Das ehemalige Wohnprojekt beherbergte zeitens bis zu 27.000 Menschen und war eine Brutstätte für Drogenhandel und Gang-Gewalt. Die Bewohner lebten in riesigen Betonblöcken umgeben von Parkplätzen und asphaltierten Straßen. Nur wenige Wohnungen boten einen Ausblick auf Bäume oder Wiesen. Die Studie zeigte, dass Kinder aus Wohnungen mit “Aussicht” eine längere Aufmerksamkeitsspanne hatten, als Kinder die aus ihren Fenstern nur graue Wände sahen.
Der Ausblick ins Grüne beeinflusst nicht nur unsere mentalen Fähigkeiten. Zwischen 1972 und 1981 begleitete eine Studie des US-amerikanischen Wissenschaftlers Roger Ulrich Patienten nach ihrer OP. Dabei fand man heraus, dass Patienten, die aus ihrem Bett nach draußen in den Park schauen konnten, sich schneller von der OP erholten, als Patienten, deren Fenster auf Krankenhaus-Wände ausgerichtet waren. Nicht nur das – die Patienten benötigten auch weniger Schmerzmittel.
Eine Erklärung für diese Ergebnisse liefert die Arbeit des Psychologen William James. Er unterschied zwischen zwei Arten der Aufmerksamkeit: direkte Aufmerksamkeit und Faszination. Die direkte Aufmerksamkeit kommt zum Einsatz, wenn wir eine wichtige Email schreiben, wenn wir in der Innenstadt Autofahren oder Rechnungen durchführen. Sie erfordert Konzentration und Willenskraft und wirkt deswegen schnell ermüdend auf uns. Faszination hingegen existiert einfach. Wenn kleine Kinder stundenlang einem Käfer zuschauen oder wir gedankenverloren Blätter im Wind beobachten, passiert das ohne Intention oder Anstrengung. Es ist quasi wie eine Mikromeditation. Die Faszination, die wir für natürliche Elemente hegen, hilft uns dabei, Stress abzubauen. Deswegen fühlen wir uns mit ein wenig Grün im Leben psychisch und physisch wohler.
Nachhaltig Arbeiten
Es sind aber nicht nur Bäume und Wasserfälle, die uns in Stresssituationen helfen. Denn auch Farben an sich beeinflussen unser Befinden. Überall auf der Welt existieren Farbenlehren, die Farben mit bestimmten Gefühlen oder Lebensabschnitten verbinden. Die daoistische Harmonielehre Fēng Shuî zum Beispiel ordnet Grün dem Osten und damit dem Bereich der Familie und Gesundheit zu. In vielen Kulturkreisen steht Grün für Jugend und Fruchtbarkeit. Seit einigen Jahren ist Grün zusätzlich ein Symbol der Nachhaltigkeit, was viele Hersteller in ihrem Produktdesign auszunutzen wissen. Mit der Etablierung der Psychologie als wissenschaftliche Fachrichtung stieg auch das Interesse daran zu untersuchen, wie Farben gezielt eingesetzt werden können.
Alexander Schauss war einer der ersten, der Studien zur psychologischen Wirkung von Farben durchführte. Er präsentierte seine Ergebnisse 1985 in einer Veröffentlichung, die auch als “The Pink Study” bezeichnet wird. Den Namen erhielt sie, weil in dem Versuch Räume eines amerikanischen Gefängnis mit der Farbe Baker-Miller-Pink gestrichen wurden. Nach kurzem Aufenthalt beruhigten sich die Insassen und zeigten weniger Gewaltbereitschaft als zuvor. Das Experiment wurde in einer psychiatrischen Einrichtung sowie einer Jugendstrafanstalt wiederholt – mit dem gleichen Ergebnis.
Forschungsergebnisse wie die von Schauss sind besonders für Innenarchitekten interessant. Grüne Elemente werden häufig in Empfangshallen von Hotels und Bürogebäuden eingesetzt. Warum? Die Farbe erleichtert es uns, sich an neue Umgebungen zu gewöhnen. Dass bestimmte Farben und Formen uns kreativer, kooperativer oder konzentrierter machen, hat auch Google erkannt. Der Großkonzern hat eine ganze Abteilung, die sich nur mit Bürodesign beschäftigt und eine eigene Versuchsreihe mit verschiedensten Design-Konzepten am Laufen hat. Lila zeigte dabei eine schlechte Auswirkung auf die Arbeitsatmosphäre und wurde daraufhin aus den Google-Büros verbannt.
Grün im Büro
Aber wie sieht denn nun das perfekte Büro aus? In den letzten Jahren ging der Trend in Richtung Wohnzimmer-Büro. Weniger klassische Schreibtische, dafür Sessel und flexible Working Booths. Man soll sich schließlich auch bei der Arbeit wohlfühlen. Ein richtiger Ansatz, der aber vielleicht besser durch Garten-Büros (wenn man der Namensgebung treu bleibt) zu realisieren wäre.
Eine langwierige Befragung durch Rachel Kaplan (Professorin an der University of Michigan) ergab, dass Angestellte, die von ihrem Arbeitsplatz ins Grüne schauen können, glücklicher mit ihrer Arbeit, gesünder und zufriedener mit ihrem Leben sind. Zimmerpflanzen verbessern nicht nur das Raumklima, sondern steigern die Produktivität der Angestellten um bis zu 15%. Der Bericht “Arbeitsmotivation 2014” der ManPowerGroup zeigt einen ähnlichen Trend. Eintausend Deutsche wurden gefragt, was für sie im Büro wichtig ist, um sich wohlzufühlen. Das Ergebnis: Zimmerpflanzen sind für uns wichtiger als die frische Tasse Kaffee am Morgen.
Zimmerpflanzen und “Blick auf Park” sind aber nicht die einzigen Möglichkeiten, ein Büro naturnäher zu gestalten. Die richtige Farbwahl, organische Formen und Objekte wie Wandbegrünung, Moosteppiche und unbehandelte Holzmöbel bringen die Natur nach drinnen.
Es ist an der Zeit, grauen Büros Lebewohl zu sagen und sich die Natur an den Schreibtisch zu holen – auch wenn es erstmal nur eine Topfpflanze ist.