Von Chantal Bohn
In der Natur gibt es keinen Müll. Alles wird wiederverwendet. Wenn ein Tier stirbt, werden die Überreste von Mikroorganismen abgebaut, wodurch Nährstoffe und Mineralien wieder in den Boden gelangen. Dort werden sie vom Wurzelwerk der Pflanzen aufgenommen, welche wiederum die Nahrung für die Tiere produzieren. Stoffkreisläufe sollten für uns also selbstverständlich sein. Trotzdem werden die meisten Produkte bis heute auf lineare Weise hergestellt: produzieren – kaufen – wegwerfen – vergessen. In den letzten Jahrzehnten wurde jedoch klar, dass diese Wirtschaftsweise keine Zukunft hat. Eine nachhaltige Wirtschaftsweise im Sinne einer Kreislaufwirtschaft könnte eine Lösung sein.
Linearwirtschaft: Die Wegwerfgesellschaft
Laut Umweltbundesamt ist Deutschland pro Jahr für 325 bis 350 Millionen Tonnen Abfall verantwortlich. Weltweit sind es 2,12 Milliarden Tonnen. Was damit geschieht, hängt vom Land ab. In den USA landet der Großteil des Mülls auf den Deponien, wo durch die Verrottung Methan (ein potentes Treibhausgas) in die Atmosphäre gelangt. In Deutschland wird der Müll hauptsächlich “energetisch verwertet”, also verbrannt. Die entstehende Wärme kann nur noch für Energieerzeugung genutzt werden, wobei immer noch Kohlenstoffdioxid und andere Treibhausgase freigesetzt werden.
Den Müll säuberlich zu trennen ist zwar besser, als alle Abfälle in einer Tonne zu entsorgen, aber es löst das Müllproblem auch nicht. Denn viele Materialien sind schlecht oder gar nicht recyclebar, weswegen sie letzten endes eben doch in den Verbrennungsanlagen landen. Vor allem Mehrschichtmaterialien, wie sie häufig in Verpackungen verwendet werden, stellen eine Herausforderung für Recyclinganlagen dar, weil sie nicht sortenrein sind. Insgesamt werden laut Angabens des BUNDs nur 17% des deutschen Plastikmülls nachvollziehbar recycelt. Bei Papier und Glas sind die Recyclingquoten wesentlich besser, aber auch hier behindern chemikalische Zusätze und andere Unreinheiten die Weiterverwertung.
Länder weltweit stehen deswegen vor der Frage, wie sie ihren Müll los werden sollen, ohne die Umwelt weiter zu schädigen. Hinzu kommen Probleme wie Ressourcenknappheit, hohe Treibhausgasemissionen und der damit verbundene Klimawandel. Einen Ausweg bietet die Kreislaufwirtschaft.
Die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft
Kreislaufwirtschaft ist ein Modell, in welchem Produkte Teil eines Materialzyklus sind und diesem idealerweise endlos wieder zugefügt werden können. Statt geplanter Obsoleszenz werden Produkte für maximale Lebensdauer designt. Dadurch werden weniger Rohstoffe benötigt und Müllmengen reduziert.
Ähnlich wie in natürlichen Kreisläufen können die Produkte nach Ablauf ihrer Lebensdauer in ihre Grundbestandteile zerlegt werden, um als Ausgangsstoff für neue Produkte zu dienen. Hierbei wird generell zwischen zwei Stoffzyklen unterschieden: dem biologischen und dem technischen. Der biologische Zyklus enthält nur organische Stoffe, die der Natur bedenkenlos wieder zugeführt werden können. Dies kann zum Beispiel über Biogas-Anlagen oder Kompostierung passieren. Der technische Zyklus besteht aus Stoffen wie Plastik und Legierungen, die von Menschenhand geschaffen wurden. Jene Stoffe sollen sortenrein getrennt und dadurch immer wieder verwendet werden können.
Die Materialzyklen verlassen sich jedoch nicht darauf, dass sich die technischen und chemischen Recyclingmöglichkeiten verbessern, sondern setzen schon viel früher an – beim Produktdesign. Abfall wird dabei quasi “herausdesignt”. Wer ein Produkt auf dem Markt anbieten möchte, muss sicherstellen, dass es leicht zu reparieren ist und das Material nach dem ursprünglichen Gebrauch wiederverwendet werden kann. Die Bestandteile müssen leicht voneinander zu trennen sein. Es muss transparent sein, um welches Material es sich handelt und wie es zu entsorgen ist. Hersteller müssen untereinander kommunizieren, um ihre Produkte in einem Materialzyklus zu integrieren. Entweder benutzen sie ein Abfallprodukt eines anderen Herstellers oder sie wissen, wer ihre eigenen Abfallprodukte verwerten kann – optimalerweise beides.
Warum sich dieser Aufwand lohnt, zeigt ein Blick auf die Vorteile.
Die Vorteile der Kreislaufwirtschaft
Der offensichtlichste Vorteil der Kreislaufwirtschaft besteht darin, dass weniger Rohstoffe abgebaut werden müssen. Dadurch fallen finanzielle und ökologische Kosten des Abbaus weg. Laut Schätzungen der “Ellen MacArthur”-Stiftung würde die EU mit einem zirkulären Wirtschaftsmodell jährlich bis zu 630 Milliarden US-Dollar (etwa 518 Milliarden Euro) an Materialkosten einsparen. Gleichzeitig wird die Rohstoffversorgungssicherheit erhöht, weil Wertstoffe nicht ungeachtet entsorgt und Rohstoffquellen geschont werden.
Die Weiterverwendung und die hohen Recyclingraten sollen idealerweise dafür sorgen, dass außerdem keine künstlichen Stoffe in die Umwelt gelangen. Das heißt, keine alten Reifen werden irgendwo im Wald abgeladen und Plastik driftet nicht länger in unsere Weltmeere. Auf die Frage, was mit den 50 Millionen Tonnen Plastikmüll passiert, die sich bereits in den Ozeanen befinden, gibt es bisher allerdings nur dürftige Antworten.
Für Konsumenten kann Kreislaufwirtschaft vor allem weniger Kosten bedeuten, da Produkte auf Langlebigkeit ausgerichtet sind und somit seltener ersetzt werden müssen. Außerdem dürften die geringen Materialkosten in vielen Sektoren die Einkaufspreise von Produkten senken. Durch Leasing-Modelle werden Geräte zunehmend gemietet, wodurch Verbraucher diese flexibler nutzen können.
Die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft
Es gibt bereits zahlreiche Unternehmen, die beweisen, dass Zirkularität rentabel ist. Die Ansätze sind vielfältig, innovativ und meist erstaunlich simpel.
Die chinesische Firma “Broad Sustainable Building” baut Hochhäuser nach dem Lego-Prinzip. Die Baukomponenten werden in einer Fabrik vorgefertigt und müssen am Ziel nur noch zusammengesteckt werden. Einerseits reduziert diese Bauweise die Kosten und Bauzeit enorm. Andererseits, und das ist das entscheidende, lassen sich die Gebäude wieder in ihre Einzelteile zerlegen, welche dann für andere Projekte zur Verfügung stehen.
Ein anderes Beispiel ist die Firma “Bundels” in den Niederlanden, welche kostengünstig Waschmaschinen vermietet. Die Maschinen werden regelmäßig gewartet. Mittels Sensoren werden Wasser-, Strom- und Waschmittelverbrauch überwacht. So kann sichergestellt werden, dass die Maschinen ihre maximale Lebensdauer erreichen und lange Profit bringen.
In Deutschland ist der Werkstoffhersteller Covestro Vorreiter, wenn es um zirkuläres wirtschaften geht. Mit Cardyon hat die Firma einen Polyol (Ausgangsstoff für Weichschaum in Autoinnenräumen und Matratzen) entwickelt, der zu 20% aus Kohlenstoffdioxid besteht. Bei der Produktion werden so gleichzeitig Erdöl eingespart und CO2 reduziert.
Die Pläne der Bundesregierung
Mittlerweile steht fest: wer künftig eine wirtschaftliche Rolle spielen möchte, denkt zirkulär. Weltweit arbeiten Firmen und Staaten an neuen Konzepten, um den Konkurrenten einen Schritt voraus zu sein und sich mit der Nachhaltigkeits-Medaille zu zieren. Die Europäische Union hat zuletzt im März vergangenen Jahres einen Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft vorgestellt, der Europa auf eine grüne Zukunft vorbereiten soll.
Um die europäische Richtlinien auch in Deutschland umzusetzen, beschloss die Bundesregierung im Sommer 2020 eine Erweiterung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, welches 2012 in Kraft trat. Darin ist zum Beispiel die berühmte Müllhierarchie verankert, an deren Spitze die Müllvermeidung steht. Neu sind unter anderem die Erhöhung der Recyclingquoten, die Obhutspflicht der Produktverantwortlichen und die Verpflichtung zur Abfallberatung. Was für die einen zu viel war, war für andere zu wenig. Vertreter des Handelsverbandes Deutschland und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags kritisierten, dass die neuen Regelungen den ohnehin schon geschwächten Handel zu sehr beeinträchtigten. Andere Lager, darunter der NABU, sind der Meinung, die Erweiterung ginge nicht weit genug.
Deutschland hat gute Voraussetzungen, um der linearen Wirtschaft lebewohl zu sagen, aber wie Eric Rehbock (Geschäftsführer des Bunderverbandes für Sekundärrohstoffe und Entsorgung) kommentierte, fehle nach wie vor der Wille das Ruder herumzureißen.
Die Hürden der Kreislaufwirtschaft
Viele Geschäftsmodelle basieren auf einer linearen Wirtschaftsweise. Wenn diese Unternehmen überleben wollen, müssen sie sich nicht nur anpassen, sie müssen sich von Grund auf neu erfinden. Lieferketten und Produktion müssen transparenter werden – ein Schritt, zu dem viele Firmen nicht bereit sind. Es ist damit zu rechnen, dass besonders große Unternehmen ihre Reformation hinauszögern und stattdessen an kleinen Produkten schrauben werden, um ihre etablierte Stellung auf dem Markt beizubehalten.
Des weiteren bedeutet der geringe Ressourcenverbrauch für Bergbau- und Ölindustrie rund 1 Million weniger Arbeitsstellen, wobei man dies mit den 18 Million neuen Arbeitsstellen aufwiegen kann, welche laut Internationaler Arbeitsorganisation bis 2030 im grünen Sektor entstehen.
Letzten Endes hängt der Erfolg der Kreislaufwirtschaft aber auch von uns ab, den Konsumenten. Langlebigkeiten von Produkten ergibt nur Sinn, wenn wir diese auch lange nutzen bzw. bereit sind, Sachen aus zweiter Hand zu kaufen oder zu leasen. Genauso scheitert selbst der effizienteste Materialzyklus, wenn wir Produkte bei uns zu Hause horten statt sie dem Markt zurückzugeben, wenn wir sie nicht mehr benötigen.
Wirtschaftsmodell der Zukunft?
Für viele klingt Kreislaufwirtschaft noch eher nach einer Zukunftsvision, als nach einem funktionierenden Wirtschaftssystem. Dabei existieren schon jetzt etliche Firmen, die ihre Rohstoffe aus alten Produkten beziehen und ihnen so ein neues Leben schenken. Die Europäische Union und Deutschland haben die ersten Schritte zur Kreislaufwirtschaft bereits in geltendes Recht umgesetzt. Es geht voran. Vielleicht langsamer als sich Vorreiter erhofft hatten, vielleicht schneller als Kritiker befürchtet hatten. Doch die Richtung ist eindeutig: in der Natur wird alles wiederverwendet, warum also nicht in unserer Wirtschaft?